Nick:Jurgen
Dodano:2003-11-20 20:53:31
Wpis:Dass die Entertainment-Branche kriselt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Eine der Ursachen ist fraglos die Verbreitung von raubkopierten Produkten. Das betrifft vor allem die Musikindustrie, zunehmend aber auch die Filmbranche.
Seit CD-Brenner erschwinglich sind, werden auch Filme zur "VCD" gebrannt. Jetzt allerdings werden DVD-Brenner erschwinglich, und damit fangen die Probleme erst richtig an. Nimmt man dazu die zunehmende Verbreitung von Breitband-Internetverbindungen, ergibt das unter dem Strich das Rezept für eine kapitale Branchenkrise: Schon im letzten Jahr, behauptet die Filmindustrie, seien ihr weltweit durch Piraterie gut vier Milliarden Dollar durch die Lappen gegangen.
Allein in Deutschland, sagt die Gesellschaft für Konsumforschung GfK, wurden im letzten Jahr über 15 Millionen Filme aus dem Web geladen.
Noch geht die Filmbranche mit den Downloadern entspannter um als die Kollegen aus der Musikbranche: Noch, sagt Jack Valenti, Kopf der mächtigen Filmindustrie-Lobby MPAA, seien keine konkreten Klagen gegen Downloader geplant. Für alle Zeiten ausschließen will er das aber auch nicht, denn man habe ja gesehen, dass sich mit juristischen Drohungen durchaus etwas ausrichten lasse.
Des einen Freud, des anderen - Ende?
Vorerst aber will die MPAA ihren Kunden lieber entgegenkommen und sie binden: Schon im Sommer 2005 plane die Filmindustrie demnach, ein eigenes, kostenpflichtiges Download-Angebot bester Qualität ins Web zu stellen. Direkt nach der Auswertung in den Kinos könne der Film dann in den digitalen Vertrieb gehen.
Das allerdings hätte aus Sicht der Industrie ganz erhebliche Vorteile, über die sie bereits seit Ende der Achtziger nachdenkt. Seitdem tüfteln eine ganze Reihe von Firmen an Modellen für einen digitalen Filmvertrieb, der ursprünglich natürlich vor allem auf die Kinos zielte: Es wäre schlicht billiger, einen Server bereitzustellen und den Kinobesitzer den Film seiner Wahl herunterladen zu lassen, als Hunderte von Kopien eines Filmes ziehen zu müssen.
Der gleiche Gedankengang zieht auch im Publikumsmarkt - und bedroht ganze Branchen in ihrer Existenz. Nicht mehr nur Kopierwerke müssten sich auf Umsatzeinbrüche einstellen, auch alle Zwischenhändler bis hin zur Videothek.
Krisenzeichen
Die könnte langfristig sogar aus dem Straßenbild verschwinden. Der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels IVD berichtet, dass der Umsatz der Videotheken seit Anfang 2003 um immerhin 14 Prozent zurückgegangen sei. Zwischenzeitlich sah es sogar nach mehr aus, doch da, erklärt Hans-Peter Lackhoff, Kopf der IVD, habe man den Umsatzeinbruch durch den "Super-Sommer" unterschätzt. Auch davon, dass bis zu einem Fünftel der angeschlossenen Videotheken schon im Laufe dieses Jahres ihre Türen schließen könnten, ist inzwischen keine Rede mehr.
AP
Jack Valenti: Mit Downloads gegen Raubkopien?
Trotzdem betreffe das Problem der Piraterie vor allem die Videotheken: "Da viele der Raubkopien bereits einige Tage nach Kinostart (wenn nicht sogar vor Kinostart) auf den 'Markt' kommen", ist in einer Pressemitteilung des IVD zu lesen, "haben in der Folge viele Kunden die 'Neuheiten' in den Videotheken bereits gesehen."
Lackhoff legt trotzdem Wert darauf, dass nicht die Endverbraucher das Problem seien, "sondern die organisierte Verteilstruktur". Film-Raubkopien würden auf Flohmärkten, in den Kantinen von Großunternehmen, an Universitäten gehandelt. "Da fangen die Probleme an!"
Der Trend weg vom Verleih muss aber nicht nur mit Raubkopien zusammenhängen: Zur gleichen Zeit boomt nämlich der Verkauf von DVDs. Die werden langsam billiger und sind - im Film- wie Musikmarkt - zurzeit der letzte gesunde Wachstumsmarkt. Doch auch hier zeigen sich in den letzten Monaten erste Anzeichen für einen Rückgang.
Dass gerade die Video-Vertriebsbranche seit Jahren weiß, woher der Wind weht, weiß auch jeder, der noch in Videotheken geht: Kaum ein Film, der nicht mit einem der bekannten GVU-Spots beginnt, die vor Raubkopien warnen und dazu auffordern, Täter anzuzeigen. Damit sind vor allem die Kopierer gemeint, nicht die Käufer von Raubkopien: Auch die IVD unterstützt hier noch eine "weichere" Linie.
Mit dem Start eines legalen Download-Angebotes dürften sich die Probleme der Branche aber noch verschärfen. So ging die "Brenner-Studie" der GfK aus dem Frühjahr 2003 davon aus, dass in Deutschland rund 2,4 Millionen Menschen Filme aus dem Internet lüden. Über 50 Prozent davon hätten die
IM INTERNET
· Motion Picture Association of America (MPAA)
· Videotheken-Verband IVD
· T-Online Vision: Online-Videothek mit (noch) kleiner Auswahl
· Arcor: Video on demand
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betreffenden Filme vorher nicht auf Video/DVD gesehen, 38 Prozent auch nicht im Kino. Bemerkenswert daran ist vor allem die Zahl derjenigen, die also ihnen bekannte Filme aus dem Web "besorgen": Es geht hier um eine hochgradig Film-affine Zielgruppe - und von der lebten bisher die Videotheken.
Die Filmfans sind nicht zuletzt auch Filmsammler, und satte 79 Prozent von ihnen gibt tatsächlich an, Raubkopien vor allem deshalb auf CDs zu brennen, "um sie zu besitzen".
Aus Kundensicht wäre ein Industrie-eigenes Download-Angebot verlockend. Sich quasi in letzter Minute vom Sessel aus für einen Film zu entscheiden, den man sich aus einem Angebot ausgewählt hat, mit dem keine Videothek mitkommt, klingt nach Luxus. Der Rest ist eine Frage des Preises und der Infrastruktur. Telekommunikationsanbieter wie Arcor und seit kurzem auch T-Online ("Vision") versuchen sich bereits als virtuelle Videotheken. Bisher ist das Angebot aber im Vergleich zu jeder durchschnittlichen Videothek allenfalls mau. Das sieht auch Lackhoff ganz entspannt: Wie erfolgreich so eine industrieeigene Filmbörse sei, hänge davon ab, "was die ihren Kunden dann wirklich bieten".
Also gibt sich auch der IVD noch hoffnungsfroh, wenn auch der IVD-Vorsitzende Lackhoff zugesteht, dass sich das Geschäft schon sehr bald krass verändern werde. Lackhoff: "Ich glaube nicht, dass die Filmindustrie auf die Milliarden aus dem Videotheken-Verleih so einfach verzichten will. Ich würde aber damit rechnen, dass sich die Wertschöpfungsketten verändern werden. Dazu gehört, dass es vielleicht schon im nächsten Jahr nicht mehr vier bis sechs Monate dauern wird, bis ein Film vom Kino in die Videotheken kommt, sondern vielleicht noch zwei Monate."
Insofern komme dann der Druck, der durch Piraterie entstehe, indirekt den Videotheken zugute. Zumindest für eine Weile, denn das im Markt eine technische Evolution eingesetzt hat, die über kurz oder lang Trägermedien überflüssig machen wird, ist allen Beteiligten klar.
Bundesweit soll es derzeit etwa 4500 Videotheken geben, 3800 davon sind im IVD organisiert. Der Verband schätzt, dass in Deutschland rund 15.000 Menschen in Videotheken beschäftigt sind.
Frank Patalong
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